Optimierte Nutzung von Materialeigenschaften und neue Materialfunktionen

50 Jahre Freiburger Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM

Intelligent eingesetzte Werkstoffe sind Dreh- und Angelpunkt unseres täglichen modernen Lebens. Sie spielen eine Schlüsselrolle für crashsichere, emissionsarme Fahrzeuge, ressourcenschonende Produktion oder eine nachhaltige Energiewirtschaft, um nur einige Aspekte zu nennen. Seit 1971 erforscht und entwickelt das Freiburger Fraunhofer IWM Lösungen für Industrie und Gesellschaft, um das Verhalten von Werkstoffen und Bauteilen vorherzusagen und um deren Leistungsfähigkeit und Funktionalität ideal für die jeweilige Anwendung einzustellen. Gäste aus Industrie, Wissenschaft und Politik würdigten in einem Festkolloquium am 25. Oktober 50 Jahre Werkstoffforschung auf höchstem Niveau.

© Fraunhofer IWM, Foto: Kai-Uwe Wudtke
Institutsleiter Prof. Dr. Peter Gumbsch über die Institutsbeiträge zu den großen Herausforderungen, die moderne Mobilität oder die Energiewirtschaft mit sich bringen.

»Das Fraunhofer IWM verfügt über eine fast schon universelle Problemlösungs-Kompetenz für die Werkstofftechnik – aktuell leistet es Pionierarbeit bei der Digitalisierung von Werkstoffen und der Nutzung von Quantencomputing für die Werkstoffforschung und stellt damit wichtige Weichen für die Zukunft«, sagte Ministerialdirektor Michael Kleiner vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus. Das Fraunhofer IWM genieße darum auch international eine ausgezeichnete Reputation. 

»Wir feiern ein Institut, das sich immer wieder erneuert und 50 Jahre lang unter Beweis gestellt hat,« sagt Dr. Markus Hermle, verantwortlich für die Crashsimulation bei Mercedes Benz und Kurator des Fraunhofer IWM. »Die für uns erarbeiteten Modelle und Simulationen mögen aus der Ferne betrachtet wie wissenschaftliche Detailarbeit wirken, sind aber Grundlage dafür, gleich zwei Nachhaltigkeitsziele zu optimieren: Fahrzeuge im Verkehrsgeschehen immer sicherer zu machen und gleichzeitig Potenziale für den Leichtbau und damit reduziertem Energieverbrauch im Fahrbetrieb zu erschließen.«

Wie funktioniert Innovation?

Prof. Dr. Michael Kaschke, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Karlsruher Instituts für Technologie KIT, sprach über wichtige Voraussetzungen, damit sich »tolle Erfindungen« in unserer Gesellschaft auch durchsetzen können. Seiner Erfahrung nach seien Kundenbedürfnisse, technisch und gesellschaftlich akzeptierbare Technologien und erfolgreiche Kommerzialisierung wichtige Aspekte, um über den ersten Gipfel überzogener Erwartungen und das Tal zerstörter Illusionen dann auf das Plateau der Produktivität zu gelangen. Manchmal jedoch setzten sich erfolgversprechende Vorhersagen in anderer Form durch als ursprünglich gedacht, so der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Carl Zeiss AG mit Blick auf das 1964 erfundene Bildtelefon und die heute viel genutzten Videokonferenz-Tools wie zoom, MS-Teams oder Skype.

50 Jahre angewandte Werkstoffforschung

»Wir begreifen Werkstoffe als veränderliche Systeme und wir nehmen Einfluss auf ihr Verhalten und ihre Eigenschaften«, erläutert der Institutsleiter des Fraunhofer IWM, Prof. Dr. Peter Gumbsch, den Spirit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. »Mit diesem Ansatz leisten wir Beiträge zu den großen Herausforderungen, die die Nachhaltigkeit, die Ressourceneffizienz oder die Digitalisierung für die Industrie, die Mobilität oder die Energiewirtschaft mit sich bringen.«

Anwendungsnahe Werkstoffforschung in Kooperation mit Industrie und wissenschaftlichen Institutionen bilden die Agenda des Fraunhofer IWM. »Schon seit 30 Jahren kooperiert das Fraunhofer IWM mit der Universität Freiburg«, sagt Prof. Dr. Stefan Rensing, Prorektor für Forschung und Innovation der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. »Wir haben Lehrstuhlinhaber und Lehrbeauftragte vom Fraunhofer IWM in unseren Fakultäten, betreiben gemeinsam das Institut für nachhaltige technische Systeme INATECH und arbeiten im Leistungszentrum Nachhaltigkeit mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Fraunhofer IWM und den anderen Freiburger Fraunhofer-Instituten zusammen«.

»Das Fraunhofer-IWM mit seinen über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist ein wichtiger Teil unserer quirligen Forschungsstadt Freiburg. Zusammen mit den weiteren Fraunhofer-Instituten ist das Fraunhofer IWM ein echter Leuchtturm und ein bedeutender Standortfaktor für Freiburg«, so Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn.

Trotz Trennungsgeschichte: Fraunhofer IWM und EMI kooperieren bestens

Aus einer Abteilung des 12 Jahre älteren Fraunhofer Ernst-Mach-Instituts für Kurzzeitdynamik EMI entstand 1971 zunächst das Fraunhofer-Institut für Festkörpermechanik, das spätere Fraunhofer IWM. Etwa 20 begeisterte Bruchmechanik-Pioniere untersuchten unter der Führung von Prof. Frank Kerkhof die Rissausbreitung in Glas und in Stählen. Die Erfolgshypothese der Institutsgründer: mit in Deutschland neuartigen bruchmechanischen Prüf- und Bewertungsmethoden Sicherheitsaussagen zu technischen Bauteilen wesentlich verbessern. Dies prägt das Institut noch heute – auf einer viel breiteren wissenschaftlichen Basis mit modernsten Versuchsständen und multiskaligen Simulationen aus einer Hand.

Prof. Dr. Frank Kerkhof war bis 1977 der Institutsleiter, auf ihn folgte Prof. Dr. Erwin Sommer und 2001 der jetzige Institutsleiter Prof. Dr. Peter Gumbsch. Nach der deutschen Wiedervereinigung bekam das Fraunhofer IWM 1991 einen Tochter-Standort »Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen« in Halle an der Saale, der sich 25 Jahre später als Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS selbstständig machte. Ein weiterer Standort befindet sich mit dem MikroTribologie Centrum µTC in Karlsruhe in enger Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT.

Heute reicht die Expertise des Fraunhofer IWM von Verschleißschutz und Tribologie über Fertigungsprozesse der Pulvertechnologie, Umformung und Glasformgebung, Bauteil- und Crashsicherheit, Leichtbau bis hin zu Werkstoffbewertung, Hochtemperaturverhalten und Lebensdauerkonzepten. Als Querschnittsinstitut agiert das Fraunhofer IWM unabhängig von spezifischen Branchen flexibel auf Marktveränderungen wie Digitalisierung oder Biologisierung, erschließt relevante Zukunftsmärkte wie die Quantenmechanik und erarbeitet gemeinsam mit Industriepartnern Lösungen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen wie die neue Mobilität oder die Nutzung regenerativer Energien.

 

Themen-Beispiele des Fraunhofer IWM

© Fraunhofer IWM
Mit dem neu entwickelten In situ-Tribometer lassen sich direkt im Betrieb Verschleiß und Reibwerte von Gleitlagern messen.

Mit Wasserschmierung in Gleitlagern läuft’s umweltfreundlicher

Die Lager von Maschinen werden in der Regel mit Öl geschmiert. Doch große Mengen dieser Öle landen auch heute noch in der Umwelt. Am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, MikroTribologie Centrum µTC wurde deshalb eine Methode entwickelt, mit der sich Gleitlager künftig auf Wasserbasis schmieren lassen können. Das mit Ionen versetzte Wasser ist nicht nur umweltfreundlicher als Öl. Es trägt zudem dazu bei, Gleitlager noch effizienter zu machen.

Entwicklung wasserbasierter Schmiermittel

© Fraunhofer IWM
Zwei mit kleinem Biegeradius um 90° gebogene Flachgläser, Anordnung wie in einer Isolierglasscheibe: 12 mm Abstand.

Glasbiegeverfahren mit Maschinellem Lernen verfeinert:
Glasscheiben perfekt um die Ecke gebogen – auch für Doppelglasfenster

Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM biegen mit einem neuen Verfahren Glasscheiben »scharf« um die Ecke. Bisher war ein 90-Grad-Knick nicht möglich. Anders als bei herkömmlichen Biegeverfahren leidet die optische Qualität des Glases dabei nicht. Das Glas mit der Ecke könnte künftig in der Architektur ungewöhnliche Akzente setzen, aber auch in der Medizintechnik eingesetzt werden. Auch dem Industriedesign eröffnet es neue Möglichkeiten.

Biegen von Flachglas

© Fraunhofer IWM

Leichtbau bei Autofelgen: Versuch und Simulation des Bruchverhaltens von Alufelgen

Im Automobil-Leichtbau werden Aluminiumfelgen eingesetzt, die in einem Guss- oder Schmiedeverfahren mit anschließendem Flowforming-Prozess hergestellt wurden. Da das Versagensverhalten der Felgen auf die Radkinematik wirkt und dadurch das Crashverhalten des Gesamtfahrzeugs beeinflussen kann, ist die Versagensmodellierung von Aluminiumfelgen für die Prognose der gesamten Wirkkette des Systems von großer Bedeutung.

Verformungs- und Versagensverhalten von Werkstoffen und Bauteilen

Filmclip: Auswirkungen von Materialschädigungen auf das Bauteilverhalten, am Beispiel Autofelgen

© Fraunhofer IWM
Werkstoffe, die Salzbäder aushalten.

Solarthermische Kraftwerke: Korrosion in Salzschmelzen im Griff haben

Angetrieben durch die Nutzung erneuerbarer fluktuierender Energiequellen hat das Fraunhofer IWM Prüfmethoden für Materialien in Hochtemperaturspeichern solarthermischer Kraftwerke auf Salzschmelzenbasis (CSP Concentrated Solar Power Plants) entwickelt. Inzwischen haben Salzschmelzen aus Nitraten und Nitriten an Bedeutung gewonnen, da sie attraktive Wärmeleitungs- und Speichermedien für Anwendungen in der Energieerzeugung sind. Damit Hochtemperaturspeicher und Wärmeüberträger auf der Basis von Salzschmelzen zuverlässig arbeiten und ökonomisch betrieben werden können, sind umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen für die zur Anwendung kommenden Materialien erforderlich.

Solarthermische Kraftwerke: Korrosion in Salzschmelzen

 

Kontakt

Anabel Thieme
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