Quantencomputer für innovative Materialsimulation nutzen

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Seit 2021 betreibt IBM in Ehningen bei Stuttgart für die Fraunhofer-Gesellschaft einen der weltweit leistungsfähigsten Quantencomputer. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert im Rahmen Netzwerks Quantum BW Verbundprojekte mit dem Ziel, Quantemcomputing für die Anwendung nutzbar zu machen. An zwei Projekten ist die Gruppe »Materialmodellierung« des Fraunhofer IWM beteiligt.

Kopplung klassischer Computer mit Quantum Hardware

Im Prinzip bietet ein Quantencomputer aufgrund seiner Funktionsweise ideale Voraussetzungen, um quantenchemische Vorgänge in komplexen Funktionsmaterialien abzubilden. Die aktuell verfügbare Hardware weist gegenüber dem mathematisch idealen Verhalten eines Quantenregisters jedoch noch Unvollkommenheiten auf. So ist insbesondere die Dekohärenz des Systems, das heißt der Verlust von Quanteneigenschaften durch Störungseinflüsse während der Berechnungszeit, ein ernstes Problem. Dies schränkt die universelle Einsetzbarkeit eines Quantencomputers derzeit noch stark ein. Die Technologie entwickelt sich jedoch zügig weiter, sodass voraussichtlich in wenigen Jahren weitaus leistungsfähigere und fehlertolerantere Systeme zur Verfügung stehen werden.

Wir forschen daran, die heute verfügbare Quantum Hardware bestmöglich für Fragestellungen der Materialmodellierung zu nutzen, und bauen dafür gezielt Know-how für hybride Simulationsmethoden auf. In diesen hybriden Verfahren werden jene Aspekte, die sich zuverlässig auf konventionellen Computern berechnen lassen, mit etablierten Methoden der Dichtefunktionaltheorie behandelt. Ein Anteil der Problemstellung, für den dies aufgrund dessen quantenmechanisch hoher Komplexität nur mit großem numerischen Aufwand möglich wäre, wird in einem effektiven Modell abgebildet, welches mithilfe des Quantencomputers berechnet wird. Eine Iterationsschleife zwischen beiden Computersystemen liefert dann die Gesamtlösung (Abbildung 1). Das Ziel unserer Forschungsarbeit ist es, effektive Modelle zu entwickeln, die sich auf der heutigen Quantum Hardware zufriedenstellend rechnen lassen. Unsere Erkenntnisse bilden eine Grundlage für künftige Software mit übertragbaren Quantenalgorithmen.

© Von links nach rechts: iStock (1. Bild)/Fraunhofer IWM (2. & 3. Bild)/IBM (4. & 5. Bild)
Abbildung 1) Hybrider Simulationsansatz für Materialien, die Übergangsmetalle mit stark korrelierten Elektronen enthalten. Foto rechts: der Quantencomputer »IBM-Q System One« in Ehningen – im Zentrum der Helium-Kryostat zur Kühlung.

Materialsimulation für Batterien und Brennstoffzellen

Für den erfolgreichen Ausbau der Elektromobilität werden kleine und leichte Energiespeicher mit hohen Energiedichten und Leistungen sowie effiziente Energiewandler benötigt. Dabei bestimmen Material und Struktur der Elektroden die elektrische Funktion von Batterien und Brennstoffzellen und letztendlich auch deren Lebensdauer.

Im Verbundprojekt »Quantencomputer Materialdesign für elektrochemische Energiespeicher und -wandler mit innovativen Simulationstechniken« (QuESt) erproben wir gemeinsam mit Projektpartnern am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) neue Wege des Materialdesigns. Unter Nutzung des IBM-Quantencomputers untersuchen wir, welche Wechselwirkungen auftreten zwischen Atomen und Elektronen von Batterie-Elektroden sowie in Katalysatoren von Brennstoffzellen. Solche Funktionsmaterialien enthalten in der Regel chemische Elemente mit stark korrelierten Elektronen, insbesondere Übergangsmetalle. Deren physikalisch richtige Beschreibung erfordert numerisch aufwändige Verfahren. Sie bieten sich somit an, um die oben beschriebenen hybriden Simulationsmethoden zu erproben und weiterzuentwickeln. Im Rahmen von QuESt untersuchen wir insbesondere Phasen-, Defekt- und Reaktionseigenschaften von Oxidverbindungen von Mangan, Eisen, Cobalt und Nickel mit Perowskit-Kristallstrukturtypen.

Alternative Technologie für Quantenregister

Die IBM-Quantencomputer verwenden supraleiterbasierte Schaltkreise als elementare Qubits. Diese so gut wie möglich gegen äußere Störungen abzuschirmen, erfordert einen großen technologischen Aufwand. So wird der Quantenprozessorchip auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt gekühlt und gegen elektrische und magnetische Felder abgeschirmt. Ein alternativer, technologisch jedoch erst am Anfang stehender Ansatz zur Realisierung von Qubits sieht die Verwendung bestimmter isolierter Kristalldefekte in Festkörpern vor. Der meistversprechende Kandidat hierfür ist das Stickstoff-Vakanz- Zentrum (NV-Zentrum) im Diamantkristall, welches seine Quanteneigenschaften selbst bei Raumtemperatur für erstaunlich lange Zeit aufrechterhält.

Im Verbundprojekt »Modellierung und Simulation von Qubit-Registern aus Ketten von NV-Zentren auf Versetzungen in Diamant« (SiQuRe) beschäftigen wir uns gemeinsam mit Partnern an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Ulm mit der Modellierung und Simulation von festkörperdefektbasierten Qubit-Registern. Das Forschungsvorhaben behandelt mit Modellen und Computersimulationsmethoden der theoretischen Quantenphysik die Frage, inwieweit sich als Qubits adressierbare NV-Zentren in Diamant entlang linearer Strukturdefekte periodisch anordnen und für den Aufbau zukünftiger Quantencomputer nutzen lassen.

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Abbildung 2) Schematische Darstellung des Aufbaus eines Quantenregisters aus NV-Defektzentren im Diamantkristall.