Bessere Pflegeprodukte durch virtuelles Zähneputzen

Zahnpasta- und -bürsten-Check Zahnpasten und -bürsten zu entwickeln, ist zeitraubend: Zahlreiche Proben müssen hergestellt und untersucht werden. Mit einer neuartigen Simulation lassen sich die verschiedenen Parameter wie etwa die Form der Borsten oder die Größe der Putzkörper mit einem Klick ändern. Die Hersteller können die Qualität neuer Zahnpflegeprodukte steigern und diese schneller auf den Markt bringen.

© Fraunhofer IWM
Simulation der Wechselwirkung einer Zahnbürstenborste mit der Suspension mit kugelähnlichen Abrasivpartikeln.

Morgens beim Aufwachen ist ein pelziger Belag auf den Zähnen zu spüren: Ein Biofilm, der sich über Nacht gebildet hat und auf Dauer zu Karies führen kann. Deshalb ist es wichtig, die Zahnbürste zu nehmen und diesem »Pelz« den Garaus zu machen. Die Auswahl an Zahnpflegeprodukten ist groß. So finden sich bei den Bürsten abgerundete und spitze, harte und weiche Borsten. Auch solche mit verschieden langen Filamenten werden angeboten. Welche die Zähne am gründlichsten reinigen und den Zahnschmelz dabei möglichst schonen, konnten die Hersteller bisher nur durch Experimente abschätzen. Ebenso verhält es sich bei den scheuernden, sprich abrasiven Partikeln – den Putzkörpern – in den Zahnpasten. Verschiedene Pasten mit unterschiedlichen Partikeln mussten angerührt und auf künstlichem Zahnschmelz untersucht werden – eine aufwändige Angelegenheit. Ein weiteres Manko: Da sich nur das Gesamtsystem Zahnbürste, Zahnpasta und Zahnschmelz untersuchen lässt, können die Produzenten mithilfe dieser Experimente schwer beurteilen, welchen Einfluss jeder einzelne Parameter ausübt.

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Simulation der Druckverteilung bei unterschiedlich viskoser Suspension mit kugelähnlichen Abrasivpartikeln, wenn ein Zahnbürstenfilament über den Zahnschmelz streicht: Die viskosere Zahnspastasuspension bewirkt eine stärkere Abreibung auf dem Zahnschmelz. Oben: geringere Viskosität 1 mPas, unten: höhere Viskosität 20 mPas. Links: Druckverteilung in der Suspension (eine stärkere Rotfärbung zeigt einen höheren Druck), rechts: Spannungseintrag in den Zahnschmelz durch Abrasivpartikel (eine stärkere Rotfärbung deutet auf stärkere Abrasion hin).

Zähneputzen simulieren

Eine neuartige Simulation schafft Abhilfe. Entwickelt wurde sie von Forscherinnen und Forschern des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg. »Mit unserem Verfahren können Hersteller von Zahnpflegeprodukten schnell, kostengünstig und zuverlässig erfassen, welchen Einfluss die jeweiligen Faktoren auf die Reinigung haben«, sagt Dr. Christian Nutto, Wissenschaftler am IWM. »Anders als im Experiment lassen sich die einzelnen Parameter in der Simulation einfach variieren – sei es die Größe, die Form oder auch die Menge der abrasiven Partikel in der Zahnpasta, sei es das Material, aus dem sie bestehen, oder die Form und die Elastizität der Bürsten-Filamente.« Wir können die Untersuchungen viel breiter anlegen, als dies bei realen Tests möglich wäre – was sich in der Qualität der Produkte bemerkbar macht. Welche Auswirkungen haben Form und Steifigkeit der Zahnbürstenfilamente beim Putzen? Wie wirken sich unterschiedliche Putzkörper und die Viskosität, also die Zähigkeit der Zahnpasta auf Zahnschmelz, und das eigentliche Angriffsziel aus: den Biofi lm auf den Zähnen? Solche Fragen kann die Simulation zuverlässig beantworten – und zwar lange bevor die Hersteller die Zahnpasta angerührt haben.

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Christian Nutto setzt dabei auf die am IWM entwickelte Simlationssoftware SimPARTIX®, welche die Partikelsimulationsmethode »Smoothed Particle Hydrodynamics« verwendet, kurz SPH. »Wir geben dabei Eigenschaften wie Fließfähigkeit, Dichte, Form und Füllfaktor der Abrasivpartikel vor«, erläutert Nutto. Auch Parameter für den Zahnschmelz werden berücksichtigt. Das virtuelle Zahnbürsten-Filament streicht dann über den Zahnschmelz: Die Simulation ermittelt wie die scheuernden Partikel mit dem elastischen Filament wechselwirken. Zudem berechnet sie die Reinigungswirkung und wie aggressiv die Abrasivpartikel auf den Zahnschmelz wirken. Das Team der Gruppe »Pulvertechnologie, Fluiddynamik« kann dabei sowohl die Geschwindigkeit variieren, mit der sich die Borsten über den Zahnschmelz bewegen, als auch die Kraft, mit der sie aufgedrückt werden. Zur Integration der Partikelsimulation in stadardisierte Simulationsprogramme hat das Team um SIMPARTIX® in zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI ein zusätzliches Softwaretool entwickelt.

Software berechnet Wirkung von Zahnpasta auf Zahnschmelz

Doch stimmen die Ergebnisse auch mit der Realität überein? Die Vergleichsexperimente führte Dr. Andreas Kiesow mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle sowie am MikroTribologie Centrum μTC in Karlsruhe durch. Ein Bürsten-Filament, das in eine Halterung eingespannt wurde, bewegte sich dabei mit gleichbleibender Geschwindigkeit über den künstlichen Zahnschmelz, auf dem sich auch die Zahnpasta befand. Das Ergebnis: Die Simulation kann präzise vorhersagen, wie sich Zahnpasta und Bürstenfilamente auf den Zahnschmelz auswirken. In einem nächsten Schritt soll sie auch vorhersagen können, wie effektiv die Bürsten und Pasten den Biofilm von den Zähnen entfernen.

 

Putzkörper – gefährlicher Schmirgeleffekt

Ein wichtiger Bestandteil von Zahnpasten sind Putzkörper, auch Abrasivstoffe genannt, die den Zahnbelag mechanisch entfernen. Eine Paste sollte nicht zu abrasiv sein, ihre Schmirgelwirkung also nicht zu stark ausfallen. Über Jahre hinweg kann der Abrieb den Zahnschmelz schädigen, der sich nicht regeneriert. Deutlich ausgeprägter zeigen sich die Schäden zudem am weichen Dentin beziehungsweise am Zahnbein. Wer freiliegende Zahnhälse hat, sollte daher eine Zahncreme mit geringem Abrieb wählen, empfiehlt die Bundeszahnärztekammer.

 

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Dr. Claas Bierwisch
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