Benetzung von Oberflächen - Den Ursachen der polaren Hydrophobie auf der Spur

Die Frage, ob eine Flüssigkeit auf einer Oberfläche abperlt oder anhaftet, spielt in fast allen Industriebranchen eine Rolle. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg und ExxonMobil Research & Engineering in New Jersey haben nun eine Multiskalensimulationsmethode zur Vorhersage des Benetzungsverhaltens von Flüssigkeiten auf Oberflächen entwickelt. In einer aktuellen Ausgabe des Journal of the American Chemical Society wendet das Forscherteam diese Methodik auf das bisher unverstandene Phänomen der polaren Hydrophobie von polaren fluorierten Kohlenstoffoberflächen an.

Fraunhofer IWM: Hydrophobie Diamant
© Fraunhofer IWM
Auf der zu 50 Prozent fluorierten Diamantoberfläche (links) wechselwirkt ein adsorbiertes Wassermolekül mit einem starken elektrischen Feld, das durch die roten und weißen Bereiche dargestellt ist. An der vollständig fluorierten Oberfläche hingegen (rechts), fällt das elektrische Feld so schnell ab, dass das Wassermolekül im praktisch feldfreien Raum (blau) adsorbiert wird und daher nur schwach an die Oberfläche gebunden ist. Auf makroskopischer Ebene führt die starke bzw. schwache Anbindung von Wassermolekülen an die Oberfläche zu einer guten bzw. schlechten Oberflächenbenetzung.

Das Forscherteam, bestehend aus Dr. Leonhard Mayrhofer, Dr. Gianpietro Moras, Dr. Narasimham Mulakaluri und Gruppenleiter Prof. Dr. Michael Moseler vom Fraunhofer IWM, MikroTribologie Centrum µTC, sowie Srinivasan Rajagopalan und Paul A. Stevens von ExxonMobil Research & Engineering, hat mit seinem Projekt auf mehreren Ebenen Erfolge vorzuweisen. »Zum einen lässt sich nun das Verhalten von Flüssigkeiten auf Oberflächen mittels einer quantenmechanischen Beschreibung der Valenzelektronen vorhersagen«, sagt der Erstautor Leonhard Mayrhofer. Zum anderen könne mit ihrer Arbeit nun eine Erklärungslücke geschlossen werden, die sehr lange offen war: Die Frage nach der sogenannten polaren Hydrophobie von fluorierten Kohlenstoffoberflächen. Diese war bereits 1938 beobachtet worden, als Roy Plunkett das Teflon® entdeckte. Teflon ist, wie nahezu alle anderen perfluorierten Kohlenstoffmaterialien, ausgesprochen wasserabweisend beziehungsweise hydrophob. Obwohl die Kohlenstoff-Fluor-Bindung einen hohen Grad an Polarität aufweist bindet das ebenfalls stark polare Wasser überraschenderweise nicht gut an der Oberfläche an. Das Forscherteam konnte nun mit seiner Simulation erstmals den Ursprung dieser Anomalie aufklären: Für diese Klasse von Oberflächen kann das unerwartete Abperlen von Wasser mit dem schnellen Abfall des elektrischen Feldes eines dichten Gitters von C-F-Dipolen erklärt werden.

Das Benetzungsverhalten auf einer Oberfläche gezielt einstellen

Die Wissenschaftler studierten mithilfe einer Multiskalensimulation das Anhaften von Wasser auf einer fluorierten Diamantoberfläche. Um die Anbindungsenergie zu ermitteln haben sie in einem ersten Schritt mit quantenmechanischen Elektronenstrukturberechnungen das Anhaften eines einzelnen Wassermoleküls an der Oberfläche untersucht. »Es ging uns auch darum, den Effekt grundlegend zu verstehen«, so Gianpietro Moras. »Darauf aufbauend haben wir dann die Simulation auf viele Wassermoleküle skaliert, sodass auch das Verhalten von Wassertropfen abgebildet werden kann.« Die Erkenntnisse aus dem Multiskalenmodell sind weitreichend. »In unserer Simulation wird sichtbar, dass sich bei einer zu hundert Prozent fluorierten, äußerst polaren Oberfläche die Dipolfelder der Moleküle in einer Weise überlagern, dass die elektrostatische Wechselwirkung extrem schnell abfällt, sodass das Wasser nicht anhaften kann«, erklärt Mayrhofer. Dieser schnelle Abfall des elektrischen Feldes wurde bereits 1928 von Lennard-Jones für dichte Gitter aus mathematischen Dipolen vorhergesagt, aber bisher nicht mit der polaren Hydrophobie in Verbindung gebracht. Die gleiche Simulation führten die Wissenschaftler an einer zu 50 Prozent fluorierten Oberfläche durch. Es zeigte sich: Das Verhalten der Wassermoleküle verändert sich, je nachdem wie dicht das Dipolgitter an der Oberfläche mit Fluor gepackt ist. »Wir können auf diese Weise den Kontaktwinkel der Wassertropfen gezielt einstellen«, erläutert Mayrhofer. Der Kontaktwinkel ist umso größer, je weniger das Wasser an der Oberfläche anhaftet.

Die Simulation kann mit beliebigen Oberflächen und Flüssigkeiten durchgeführt werden

Entscheidend ist, dass in dieser Simulation die Oberflächen und Flüssigkeiten beliebig variierbar sind. Die Benetzung von Oberflächen spielt in vielen Bereichen eine Rolle. So lässt sich mit der neuen Simulation das Verhalten von Ölen an Motorteilen genauso darstellen, wie bakteriell belastete Flüssigkeiten an medizinischen Geräten. »Der erste Schritt bei der Entwicklung einer Anwendung ist, die materialwissenschaftlichen Grundlagen zu erarbeiten. Mit dem theoretischen Gerüst, das wir in unserer gemeinsamen Arbeit entwickelt haben, verstehen wir nun besser wie wir die Wechselwirkung zwischen Oberflächen und Flüssigkeiten einstellen können«, sagt Srinivasan Rajagopalan von ExxonMobil, »Dieses Wissen ermöglicht es, eine optimale Oberflächenchemie für gewünschte Anwendungen zu designen.«

Link zur Publikation:

J. Am. Chem. Soc., 2016, 138 (12), pp 4018–4028, DOI: 10.1021/jacs.5b04073


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